BIO

Text: Chrigel Fisch

Bettina Schelker – Rocker, Activist, Poet

Wie viele Kilometer sie als Musikerin in den letzten knapp 30 Jahren abgespult hat, weiss Bettina Schelker wohl selber nicht so genau. Deshalb einfach ein paar Zahlen: drei Kontinente (Australien, Nordamerika inklusive Hawaii, Europa), rund 1’250 Konzerte insgesamt. Allein in den Jahren 2016 bis 2018 zählen wir 75 Live-Shows in 12 Ländern von Italien über Deutschland bis Norwegen – und 1 Meer.

Meer?

Genau. Vor zwei Jahren bestiegen The Blackberry Brandies – die andere Band der Basler Musikerin, zusammen mit Thomas Baumgartner – ein Kreuzschiff und legten ab zur «Rock and Blues Cruise 2016». Mit an Bord waren auch internationale Musiker wie Sir Bob Geldof und Edoardo Bennato oder einheimische Namen wie Stiller Has und Marc Sway. 

In Oberwil zuhause – und auf internationalen Bühnen ebenso 

Zurück vom Mittelmeer stand Bettina Schelker drei Wochen später bereits in Amsterdam auf der Bühne: solo. Sie konnte auf der ganzen Tournee der Band von Carl Verheyen (Supertramp) das Publikum warm spielen. Zuletzt stand sie im Duo mit Mike Bischof in Ostermundigen auf der Bühne, pardon, fast vergessen: einen Tag später noch mit ihrer Band im Nova Theater in Pfäffikon.
Vielleicht sind Bettina Schelkers häufige Verpflichtungen auf den Bühnen der Restschweiz, Europas und mehrfach auch der USA mit ein Grund dafür, dass sie in der Region Basel gar nicht so übermässig präsent ist. Obwohl es seit ihrem Auftritt mit den Blackberry Brandies an der Baloise Session 2013 (reinhören: «Black Magnolia») eigentlich Grund genug gäbe, ab und zu mal den roten Teppich für sie auszurollen.

Fakt ist, dass die Schweizer Musikszene nur wenige Musikerinnen im Angebot hat, die so oft und fern auf Konzertreise sind und so lange und stark für ihre Kunst brennen wie Bettina Schelker, und zwar in guter, alter und wieder angesagter Do-It-Yourself-Manier. Schliesslich betreibt die Musikerin seit 20 Jahren auch ihr eigenes Plattenlabel. Damit niemand auf die Idee käme, ihr dumm reinzureden.

Everybody’s Darling war sie nie. Dafür glaubwürdig. 

Now What Maybe heisst ihr sechstes Solo-Album. Erschienen ist es 2014. Die Musikzeitschrift Tracks attestierte ihm bzw. ihr «einen ganz eigenen Charme mit Staub an den Stiefeln» und einem Augenzwinkern. Das beschreibt die Musikerin, Texterin, Sängerin und den Menschen Bettina Schelker sehr schön, denn: So hartnäckig und professionell sie sich ihrer Musik widmet, so leicht und ohne bierernste Mahnfingergesten kommen ihre Musik und sie selber daher.

Dabei nennt Bettina Schelker ihre wichtigen Themen immer beim Namen, allen voran die lesbische Liebe, den Kampf gegen Diskriminierung und für die Rechte der LGBT-Community. Bettina Schelker ist widerspenstig im Sinne des Mainstreams – doch ihre Fangemeinde schätzt offensichtlich das oft sehr intime, melancholische und ehrliche Wesen ihrer Songs.

Everybody’s Darling war sie nie. In die aufgesetzte Gemütlichkeit der freundeidgenössischen Unterhaltungs-Fonduepfanne hat sie jedenfalls nie reingepasst. Da bleibt sie lieber Rockerin, Aktivistin, Poetin, on the road, unabhängig und frei im Geist. Glaubwürdigkeit ist vielleicht ihr auffälligster Charakterzug. Und Freiheit ihr grösster Drang.

«The Honeymoon Is Over» erreicht Washington D.C. 

Vor elf Jahren überraschte Bettina Schelker – die seit einigen Jahren mit ihrer Ehefrau Ina Nicosia-Schelker in Oberwil wohnt und dort auch in der gemeinsamen KIC Kids Camp International School unterrichtet – die Musikszene der Region ziemlich gewaltig. In New York gewann Bettina Schelker 2007 den begehrten John Lennon International Songwriting Contest in der Sparte Folk. Das öffnete ihr viele Türen und ein paar zusätzliche Türen stiess ihre Managerin und Partnerin Ina Nicosia vehement für sie auf.

Der Song «The Honeymoon Is Over» (ebenfalls 2007, vom gleichnamigen Album mit dem schönen CD-Sticker «Yes, Ich will») gehört noch immer zu Schelkers bekanntesten Songs und versteht sich als ihr Statement gegen Homophobie und Diskriminierung. 2008 spielte die Baslerin ihre erste US-Tour, weitere folgten, und 2011 performte sie gar am Capital Pride Festival in Washington D.C. (Video unten).

Dass sie 2004 noch Schweizer Meisterin im Boxen (Halbmittelgewicht) geworden war, erwähne ich deshalb gerne, weil die Figur der verletzlichen, einsamen Kämpferin auch in ihrem Musikvideo «Zurück» (2004, vom Album Willkommen, siehe unten) auftaucht. Der Song zeigt – neben Bettina Schelkers englisch-getexteten Folk- und Southern-Rock-Songs – die andere Seite der ehemaligen Mundart-Strassenmusikerin- und sängerin; die des Electro-Pops mit deutschen Texten, im Geiste der Neuen Deutschen Welle zwar, aber ohne die manchmal arg aufgesetzte Schrägheit des Genres.

«Zurück» fand sich auf den deutschen Samplern Irgendwo in Deutschland (mit Silbermond, Rosenstolz) und Aufnahmezustand Vol. 4 (2Raumwohnung, Angelika Express) wieder. «Es ist alles so einfach», heisst es im Song, und: «Alles oder nichts». In der Liebe, in der Musik.

Mit Menschenskinder an die Fussball-WM 2006 

Überhaupt hat Schelker in Deutschland früh Fuss gefasst. Zuvor aber gründete sie konsequenterweise bereits 1998 ihr eigenes Plattenlabel Foundagirl Records; dies als Reaktion auf die lausigen Promoaktionen ihres ersten grossen Plattenlabels PolyGram für die damalige CD ihrer Band Polschtergruppe (1996).

Mit den Songs «Angeline» und «Meinst Du mich» (2001, auf dem Album Klischee) gehts dann erstmals in glasklarem Hochdeutsch um die Liebe zwischen Frauen und Frauen, Mädchen und Mädchen. «Angeline» war in Deutschland ein respektabler Indie-Hit und er hätte es – neben Radio Airplay – verdient, auch an jeder LGBT-Veranstaltung in die Welt hinausgebrüllt zu werden. (Song bei Spotify).

Nach der ersten Europatour im Vorprogramm der britischen Agit-Prop-Helden Chumbawamba («Time Bomb») war Schelker in Deutschland dann Teil des Projekts Menschenskinder, das an ziemlich grossen Events wie etwa der Fussball-WM 2006 auftrat. Bettina Schelker schrieb für die Menschenskinder den Song «Wenn du lachst» und – die Wege werden länger – ging dann erstmals in den USA auf Clubtournee. Hier beenden wir die Meilenstein-Landstrasse ihrer Laufbahn als Musikerin und werfen einen allerletzten, kurzen Blick zurück in ihre Teenagerzeit:

Gimme Shelker! 

1989 spielte sie ihr erstes Konzert, die Ad-hoc-Band hiess Big Bettys Birthday, der Auftrittsort war Bättwil im Leimental und am Schlagzeug sass Adrian Sieber, ja genau, der (nachzulesen im Buch Pop Basel – Musik und Subkultur). Das war vor fast 30 Jahren und heute also, am 14. November 2018, erhält sie vom RFV Basel den Anerkennungspreis im Rahmen des Basler Pop-Preis. Wer Bettina Schelker in den letzten 5, 10, 20 oder 25 Jahren live auf einer Bühne gesehen hat, kommt nicht unbedingt auf die Idee, dass diese Frau wirklich älter geworden ist. Dazu müsste ja ihre Energie und ihre Action nachgelassen haben, doch diesen Eindruck hat man überhaupt nicht. Siehe Konzertliste. Siehe Songs.

Auch das dumme Wort «reifer» geht gar nicht, denn nach reif kommt überreif und dann der matschige Fall. Davon ist Bettina Schelker weit entfernt. Im Gegenteil: Bettina Schelker scheint sich in der dritten Phase ihrer Musikkarriere sehr wohl zu fühlen. Und manchmal ist das Gefühl nicht ganz falsch, dass ein Teil von ihr immer noch die wilde Teenagerin geblieben ist.

Neneh Cherry hat dieses Gefühl in einem aktuellen Spex-Interview zu ihrem neuen Album ähnlich beschrieben: «Oh, eben war ich noch 25 Jahre alt. Ich kann diese Zeit quasi noch berühren, wenn ich mich kurz nach hinten aus dem Fenster lehne.» Neneh Cherry ist 54 Jahre alt, Bettina Schelker acht Jahre jünger.

Anyway: Wer etwas mit einheimischen Musikschaffen am Hut hat, sollte sie also immer auf der Rechnung haben, genauso wie diejenigen Musik- und Kulturjournalist*innen, die in einem Voting ihre Stimme der Stimme dieser Basler Musikerin gegeben haben.

In diesem Sinne und in allen anderen auch: Gimme Shelker!